2. Das
Empowerment-Konzept 2.1
Herkunft und Definition von Empowerment Der
Empowerment-Gedanke kommt aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum und
entwickelte sich aus den praktischen Erfahrungen von Selbsthilfeinitiativen und
Protestaktionen von armen, arbeitslosen, psychisch kranken, behinderten und
anderen sozial benachteiligten Menschen heraus. Deren Ziel war "die
Überwindung sozialer Ungerechtigkeiten, Benachteiligungen und
Ungleichheiten" (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 11). Indem sie zur Selbsthilfe
griffen, versuchten diese Menschen nicht nur neue Wege zu finden, um
Lebenskrisen besser bewältigen zu können, sondern sie versuchten gleichzeitig
eine größtmögliche Kontrolle über das eigene Leben durchzusetzen. Geschehen
sollte dies, durch "Empowerment". (vgl. THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 11) Der
Begriff "Empowerment" kommt aus dem Englischen und kann mit
"Ermächtigung" übersetzt werden. Damit ist auch gleich vage
ausgesagt, welches Ziel mit dem Empowerment-Konzept verfolgt wird: Es geht um
die Ermächtigung von Menschen. Eine genauere Definition liegt von THEUNISSEN/PLAUTE
vor. Demnach steht Empowerment "für einen Prozeß, in dem Betroffene ihre
Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen, sich dabei ihrer eigenen Fähigkeiten
bewußt werden, eigene Kräfte entwickeln und soziale Ressourcen nutzen.
Leitperspektive ist die selbstbestimmte Bewältigung und Gestaltung des eigenen
Lebens" (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 12). Eine weitere Definition von
Empowerment liefert STARK: "Empowerment
bezieht sich ... auf die Möglichkeiten und Hilfen, die es Individuen oder
Gruppen erlauben, Kontrolle über ihr Leben und ihre sozialen Zusammenhänge zu
gewinnen, und die sie darin unterstützen, die dazu notwendigen Ressourcen zu
beschaffen" (STARK, 1996, 17f). Bei
einem Vergleich der beiden Definitionen fällt auf, daß in der von THEUNISSEN/PLAUTE
die Selbsthilfe der Betroffenen besonders hervorgehoben wird, während in der
Definition von STARK die Bedingungen ("Möglichkeiten und Hilfen") im
Mittelpunkt stehen, die eine Ermächtigung von Menschen ermöglichen.
Abschließend
sei an dieser Stelle eine letzte Definition von Empowerment wiedergegeben, der
ich mich auch anschließen möchte. In ihr werden im Vergleich zu den bereits
erwähnten Definitionen nicht nur die Aspekte "Selbsthilfe" und
"Bedingungen" berücksichtigt, sondern es findet sich darin auch ein
Hinweis, auf welche Weise sich die Betroffenen ihrer Fähigkeiten und Stärken
im Rahmen von Empowerment-Prozessen bewußt werden sollen, sowie ein Hinweis auf
die Ausgangssituation der Betroffenen: "Empowerment
meint alle Möglichkeiten und Hilfen, die es Menschen in einer eher machtlosen
Situation ermöglichen, Kontrolle über ihr Leben zu gewinnen, indem sie eigene
Stärken im Austausch mit anderen erkennen und sich gegenseitig ermutigen, ihr
eigenes Leben und ihre soziale Umwelt zu gestalten" (LEBENSHILFE, 1994, 4
f.). 2.2
Die Grundaussagen des Empowerment-Konzepts Grundgedanke
des Empowerment-Konzepts ist - wie aus den verschiedenen Definitionen bereits
entnommen werden konnte - die Stärkung von Menschen, die sich aus irgendwelchen
Gründen in einer machtlosen Situation befinden. Unter Stärkung ist dabei das
Entdecken, Bewußtwerden und Entwickeln von eigenen Ressourcen gemeint.
Stärkung von Menschen heißt aber auch, solche Bedingungen zu fördern, die es
Menschen ermöglichen, selbst über das eigene Leben bestimmen zu können und
selbst "Kontrolle über die Gestaltung der eigenen sozialen
Lebenswelt" zu erlangen (STARK, 1993, 41). Dieser
Grundgedanke des Empowerment bezieht sich auf die Annahme, daß alle Menschen
über individuelle Ressourcen verfügen, denen sich lediglich die Betroffenen,
aber auch die helfenden Berufe bewußt werden müssen. Das Empowerment-Konzept
erteilt somit einer defizitorientierten Betrachtung von Menschen eine Absage und
stellt statt dessen deren individuellen Stärken, Fähigkeiten und Potentiale in
den Mittelpunkt, die es zu entfalten gilt (vgl. THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 13).
Dabei wird davon ausgegangen, daß Menschen "nur die Fähigkeiten und
Potentiale entfalten" können, "die wir ihnen auch zutrauen"
(STARK, 1993, 42). Einem
anderen Menschen etwas zuzutrauen heißt ihn ernst zu nehmen. In diesem Sinne
gilt der Betroffene im Empowerment-Konzept als "Experte in eigener
Sache" (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 11). Dies bedeutet einen Bruch mit der
traditionellen professionellen sozialen Arbeit, die "den Adressaten
sozialer Dienstleistungen eine tiefgreifende Hilflosigkeit, Unfähigkeit und
Hilfebedürftigkeit" (THEUNISSEN/ PLAUTE, 1995, 12) unterstellte. STARK
sieht in Empowerment daher auch einen Versuch, "die sozialtechnologische
'Reparaturmentalität' helfender Berufe zu überwinden" (STARK, 1993, 41)
und führt dazu aus: "Der
Versuch, sich als Expertin und Experte mit 'fremdem Blick' an die
Einheitsversorgung benachteiligter Menschen zu machen, ignoriert die Fähigkeit
und den Wunsch nach selbständigen Alternativen zum herkömmlichen
Versorgungssystem. ... Es ist auch die Versorgung mit entmündigender Hilfe, die
die emanzipatorischen Kompetenzen und Kapazitäten der betroffenen Menschen
verschüttet" (STARK, 1993, 42). Für
professionelle Helfer gilt daher im Rahmen des Empowerment-Konzepts, daß sie
nicht wie bisher "'für' ihre Adressaten zu handeln bzw. zu sorgen"
haben, sondern ihre Aufgabe ist nunmehr die, "durch kooperative
professionelle Unterstützung, Parteinahme und Konsultation die Betroffenen bei
ihrer Selbstbemächtigung" zu unterstützen (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 13).
Dies schließt ein, "Bedingungen und eine Arbeitshaltung zu entwickeln, die
es ermöglichen, soziale Kräfte bei anderen zu wecken oder sie zu
entdecken" (KEUPP/STARK, 1993, 40). Professionelle Helfer erhalten damit
die Rolle von "Assistenten". Mit
Empowerment-Prozessen wird nicht das Ziel verfolgt bestimmte vorgegebene Normen
zu erreichen (vgl. STARK, 1993, 42 f.). Das Ziel orientiert sich vielmehr an den
Bedürfnissen der Menschen, die in Empowerment-Prozessen eingebunden sind. STARK
nennt in diesem Zusammenhang folgendes Beispiel: "Für
Mitglieder einer Selbsthilfegruppe chronisch Kranker geht es vielleicht eher
darum, Erfahrungen über den Umgang mit ihrer Krankheit auszutauschen, die sie
im Rahmen professioneller Betreuung nicht vermittelt bekommen; für eine
Bürgergruppe, in der sich Menschen gegen die 'Sanierung' ihres Stadtviertels
wehren, entwickelt sich das Bewußtsein, die lokale Wohnungspolitik einer
Kommune beeinflussen zu können" STARK, 1993, 43). Unabhängig
von der Ausgangssituation und dem Thema ist das Ziel von Empowerment also immer,
einen Prozeß zu Beginnen, der Menschen zu einer größeren Kontrolle über ihr
Leben und ihre soziale Umwelt verhelfen soll.
2.3
Empowerment geschieht auf verschiedenen Ebenen Empowerment-Prozesse
spielen sich auf verschiedenen Ebenen ab. Zu unterscheiden sind dabei die
individuelle, die gruppenbezogene und die strukturelle Ebene (vgl. STARK, 1993,
43f). Auf der
individuellen Ebene sind Empowerment-Prozesse gemeint, in denen Personen
"aus einer Situation der Machtlosigkeit, Resignation und Demoralisierung
heraus beginnen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen" (STARK,
1993, 43). Empowerment-Prozesse auf der gruppenbezogenen Ebene sind im
wesentlichen gekennzeichnet durch die Möglichkeiten, "neue Fähigkeiten
durch die Mitarbeit in einer Organisation auszubilden" und Meinungen und
Kompetenzen mit anderen Menschen auszutauschen (vgl. STARK, 1993, 43). Auf der
strukturellen Ebene können Empowerment-Prozesse "als ein erfolgreiches
Zusammenspiel von Individuen, organisatorischen Zusammenschlüssen und
strukturellen Ramenbedingungen" bezeichnet werden (STARK, 1993, 43). Die
einzelnen Ebenen können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Ganz im
Gegenteil: Sie stehen in einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit. STARK
schreibt dazu: "Individuelle
Empowermentprozesse stärken Prozesse in Gruppen und auf struktureller Ebene
ebenso, wie Empowerment auf struktureller Ebene die Möglichkeiten für
individuelle Entwicklung und Gruppenprozesse erweitert" (STARK, 1993, 41). Damit
Empowerment-Prozesse auf der individuellen und gruppenbezogenen Ebene zustande
kommen und letztendlich erfolgreich verlaufen, kann es notwendig sein, die
Rahmenbedingungen auf der strukturellen Ebene zu verändern. Hierfür sind oft
zusätzliche finanzielle Mittel notwendig (z.B. für mehr Personal in einer
Wohneinrichtung). Dazu müssen schließlich die gesetzlichen Grundlagen so
geändert werden, damit die benötigten finanziellen Mittel auch bereitgestellt
werden. Und dies geschieht wiederum auf parlamentarischen Wege. THEUNISSEN/PLAUTE
sehen daher im Empowerment auch "ein kollektives und gesellschaftlich
konfliktträchtiges Unternehmen, das auf Veränderung 'des Ganzen' zielt" (THEUNISSEN/PLAUTE,
1995, 12). Empowerment ist in sofern nicht nur ein Programm zur Stärkung von
Menschen, sondern auch ein Konzept mit sozialpolitischen Inhalten. 2.4
Voraussetzungen für Empowerment Eine
ganz grundlegende und zugleich eine der wichtigsten Voraussetzung für das
Zustandekommen von Empowerment-Prozessen ist auf der Seite des Betroffenen, daß
sich dieser seiner Situation bewußt wird und seine "Position der Schwäche
und Marginalisierung" wahrnimmt und analysiert (vgl. STARK, 1993, 41).
"Zur Stabilisierung und Weiterentwicklung dieser Bewußtwerdung" sieht
STARK als weitere Voraussetzung "eine spezifische Form sozialer
Unterstützung, eine fördernde Haltung durch Personen, eine Gruppe" oder
ein entsprechendes "soziales Klima" (STARK, 1993, 41). Damit
Empowerment-Prozesse zustande kommen, ist daher eine Beteiligung von mehreren
Menschen eine weitere Voraussetzung. Denn, nur auf diese Weise kann es zu
sozialer Unterstützung kommen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf Monika
BOBZIEN verweisen, die festhält: "Ein
Empowermentprozeß 'funktioniert' nicht als Einzelleistung, sondern kommt immer
nur zusammen mit anderen Menschen zustande, indem ein Austausch sozialer
Unterstützung stattfindet" (BOBZIEN, 1993, 48). Und sie
fügt dem ergänzend hinzu, daß "der Austausch sozialer
Unterstützung" Kooperation und "ein gewisses Maß an Gleichwertigkeit
der Kooperationspartner" voraussetzen würde (BOBZIEN, 1993, 48). Zusammenfassend
kann gesagt werden, daß Empowerment-Prozesse immer in einem sozialen Kontext
stattfinden und daher nie nur auf ein Individuum bezogen zu sehen sind.
Empowerment-Prozesse leben von Kooperation und der Beteiligung der Betroffenen.
Am Gelingen von Empowerment-Prozessen tragen die Betroffenen somit eine große
Verantwortung, "denn Partizipation kann nur umgesetzt werden, indem sie von
Akteuren in konkrete Handlungen übersetzt wird" (LOBNIG, 1993, 62). Aber
auch auf der Seite der professionellen sozialen Arbeit sind Voraussetzungen zu
erfüllen, damit Empowerment-Prozesse angestoßen und am Laufen gehalten werden
können. Die wichtigste Voraussetzung ist dabei "das Vertrauen in die
individuellen Ressourcen bzw. in die Fähigkeiten der Betroffenen" (THEUNISSEN/
PLAUTE, 1995, 13). Dies bedeutet, daß sich die professionellen Helfer von ihrer
defizitorientierten Sichtweise verabschieden und gleichzeitig solche Bedingungen
schaffen müssen, damit die Betroffenen auf ihre Ressourcen und Fähigkeiten
auch zurückgreifen und neue entdecken können. 2.5
Empowerment und Behindertenhilfe In der
Behindertenhilfe kommen zu den oben dargestellten, allgemeingültigen Aspekten
des Empowerment-Konzepts noch weitere hinzu, die sich speziell auf behinderte
Menschen beziehen. Auf die wichtigsten soll an dieser Stelle eingegangen werden. Im
Vergleich zur herkömmlichen Behindertenhilfe ist das Empowerment-Konzept nicht
an einer medizinischen, sondern an einer sozialwissenschaftlichen Sichtweise von
Behinderungen ausgerichtet. Anstelle einer "Beschreibung und Registrierung
von Defiziten, Symptomen oder Auffälligkeiten" und einer damit
einhergehenden "Etikettierungsdiagnostik" setzt das
Empowerment-Konzept auf eine "kontextuelle, bio-psycho-soziale
Problemsicht" (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 17f.). THEUNISSEN/PLAUTE dazu:
"Zum
Verständnis von Behinderung werden Lebenssituation, Lebensereignisse,
lebensweltliche Zusammenhänge, Interaktionen und individuelle Bedürfnisse als
wesentlich, ja bedeutsamer als persönliche Charakteristika oder individuelle
Schädigungen erachtet, die immer in einer reziproken Wechselbeziehung mit der
sozialen und ökologischen Umwelt stehen" (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 18).
Eine
vom Empowerment-Konzept geleitete Unterstützung von behinderten Menschen,
orientiert sich an deren "Betroffenenperspektive, Interessenlage und
speziellen Bedürftigkeit" (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 18). Bei der Auswahl
von Förder- Maßnahmen und deren angestrebten Zielen ist der behinderte Mensch
einzubinden. Dem behinderten Menschen wird damit mehr Selbstbestimmung und
Kontrolle über seinen Körper gegeben. Er soll mitentscheiden können, was
Ärzte, Therapeuten, Pädagogen und andere mit ihm und seinem Körper machen.
Selbstbestimmung hat damit Vorrang vor therapeutischen Maßnahmen, die das Ziel
der Anpassung an eine von wem auch immer festgelegten Norm haben (vgl.
THEUNISSEN/PLAUTE, 1995,18). Was
für therapeutische Maßnahmen gilt, gilt genauso für die Bereiche
"Wohnen" und "Arbeit". Nach dem Empowerment-Konzept ist
daher nach Möglichkeit auch in diesen Bereichen mit dem Ziel einer
sinnerfüllten Lebensverwirklichung auf die Wünsche von behinderten Menschen
einzugehen. Ein "mobiles, ambulantes und bedarfsgerechtes System
gemeindeintegrierter und vernetzter Hilfen" ist deshalb den speziellen
Sondereinrichtungen für behinderte Menschen vorzuziehen (THEUNISSEN/PLAUTE,
1995, 19). Auf diese Weise können behinderte Menschen in der gewohnten Umgebung
weiterleben, dort zur Schule und zur Arbeit gehen. "Ein solches System soll
ein 'natürliches Lernen in realen Lebenssituationen' (integrierte Therapie)
ermöglichen und nur soviel Hilfen anbieten, wie nötig, so daß 'Normalität'
erfahren und gelebt werden kann" (THEUNISSEN/PLAUTE, 1995, 19). THEUNISSEN/PLAUTE
vertreten die Meinung, daß auch geistig behinderte Menschen "zu wesentlich
mehr Entscheidungs- und Handlungsautonomie gelangen könnten, wenn ihnen dies
durch entsprechende Rahmenbedingungen und Hilfen ermöglicht würde" (THEUNISSEN/PLAUTE,
1995, 21). Empowerment-Prozesse können demnach auch geistig behinderte Menschen
zu mehr Selbstbestimmung hinführen und somit zu mehr Kontrolle über das eigene
Leben verhelfen. Weil Empowerment-Prozesse wesentlich von den ganz individuellen
Bedürfnissen und Gegebenheiten der Betroffenen bestimmt werden, werden
Empowerment-Prozesse, in die geistig behinderte Menschen eingebunden sind,
jedoch anders verlaufen, wie beispielsweise innerhalb einer Gruppe
körperbehinderter Menschen. Für die Begleitung von geistig behinderten
Menschen ist daher ein spezifisches Empowerment-Programm notwendig, das jedoch
auf den oben dargestellten Grundaussagen basiert (vgl. THEUNISSEN/PLAUTE, 1995,
21). Auf die sich hieraus ergebenden Besonderheiten, die zu beachten sind, werde
ich noch später eingehen.
Empowerment. Möglichkeiten und Grenzen geistig behinderter Menschen zu einem selbstbestimmten Leben zu finden. © Andreas Wagner, Geretsried 2001. Alle Rechte vorbehalten! |
||